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1895 veröffentlichte Pfarrer Hufnagel - Kesselstadt - in der Zeitschrift “Hessenland” Jugenderinnerungen an seinen Heimatort Ravolzhausen. Sie trugen die Überschrift:”Erinnerungen aus dem Hanauer Dorfleben vor fünfzig Jahren”.
Wir drucken hier einige Kapitel gekürzt ab, von denen wir annehmen, daß sie auch heute noch interessieren.
Wie die Kichlein um die Mutterhenne schaaren sich die Häuser und Gehöfte des Dorfes um das einfache, würdige Gotteshaus, geborgen in einem Walde der herrlichsten Obstbäume edelster Sorten.
Nach Süden hin schiebt sich ein saftiger Wiesengrund, “die Gräbe” genannt, bis nahe an die Dorfstraße ein, durchrieselt von zwei murmelnden Wässerlein, deren Ränder mit hochragenden Ulmen und alten Weidenstümpfen geschmückt sind, im Frühling und Herbst ein köstlicher Spielplatz für die sich im Freien tummelnde Jugend.
Nach Norden hin steigt die leichte Erhöhung des Dorfes, lIder Plon”‘*) genannt, ziemlich jäh auf zum “Gumben”**), von dem aus man einen hübschen Blick in die einzige Dorfstraße hat, welche, zu beiden Seiten mit Bauerngehöften besetzt, sich wie eine Kreislinie wieder in sich selbst verliert. Die Wiesenfläche des Gumben bot im Winter die herrlichste Schlittenbahn; sausend stürmten die sicher geleiteten Schlitten waghalsiger Knaben hinter- und durcheinander die steile Anhöhe hinab. Im Sommer reichten die wohlgepflegten Kirschbäume, hier meistens in gradlinigen Anlagen gepflanzt, die saftigsten Früchte, deren guter Ruf einst weithin in’s Hanauer Land erging und zur Kirschenzeit viel Volks aus weiter Umgegend zur “Ravolzhäuser Dreispitz”‘ zog.
Es war noch echtes Dorfleben, welches in den vierziger Jahren die Bewohner unter sich führten und pflegten. Sie bildeten eine kleine, in sich abgeschlossene Welt von Bauern. Das ländliche Interesse war ihnen allen gemeinsam. Alle wirkten und lebten für dasselbe. Die biederen Leute waren sich selbst genug; jeder sah auf das Seine und lebte mit dem Nachbar in Frieden. Streitigkeiten kamen unter ihnen nur selten vor, und noch seltener waren Amtsgänge, um durch richterlichen Entscheid sich Recht zu verschaffen.
In dein stiffen, weltentrückten Thale ragte damals noch kein Fabrikschornstein in die Lüfte, und die kreischende Dampfsäge des großen Diebacher Sägewerks zog noch nicht Hunderte von Menschen in ihren Bann; das Erwerbsleben der Neuzeit hatte bis hierher seinen Einfluß noch nicht erstreckt. Nur das Gemeindebackhaus hatte das Recht, täglich bis tief in die Nacht hinein “schwarzen Dampfrauch” aus seinem Schlote zu entsenden, zum Zeugniß, daß hier Vorrathes genug war, eine mehrfach hundertköpfige Bevölkerung aus eigener Kraft zu ernähren. An dieser Stätte waltete die Bauersfrau mit kundiger Hand ihres dankbaren Amtes, stolz aufdie von der Mutter erlernte Kunst, dem häuslichen Tische ein hochgewölbtes, schmackhaftes Brot zu bereiten.
Man plante auch damals noch nicht, wie heutzutage, eine Eisenbahn durch das stille Thälchen zu führen. Diese damals noch ganz neue Einrichtung war nur vom Hörensagen bekannt. Nur ganz wenige Leute aus dem Dorfe hatten einmal die 1847 erbaute Frankfurt-Hanauer Bahn zu Gesicht bekommen. Man wollte sie gar nicht sehen, weil man hinter dieser Neuerung nichts Gutes ahnte, ihr vielmehr die Ursache manchen Verderbens, besonders der Kartoffelkrankheit, zuschrieb. Die Töne der Dampfpfeife nannte man allen Ernstes das Schreien des Todtenvogels für die Bauern.
Ein “Chaisewagen” war selten im Dorfe zu sehen, und wenn sich ein solcher einmal hierher verirrte, dann wurde das ungewqhnte Gefährt von Alt und Jung angestaunt und bewundert. Zweimal regelmäßig in der Woche dagegen verkehrte zwischen hier und der Stadt der große, mit vier kräftigen Eseln bespannte Müllerwagen aus d~r “Herrnmühle” in Hanau, um von den reichbeladenen Fruchtspeichern der Bauern die Erzeugnisse ihres Bodens und Fleißes abzuholen und dafür klingende Louis- und Friedrichsd’or, - so hießen damals die unbeschnittenen und beschnittenen Goldfüchse -, im gespickten Geldkasten zurückzulassen.
Die kleinen Erzeugnisse der häuslichen Wirthschaft zu verwerthen, “zu Geld zu machen”, war Recht und Pflicht der Bäuerin, was ihr nach altem Brauche allein zustand. Sie besuchte zu dem Zweck regelmäßig samstäglich den Wochenmarkt in der Stadt. Hochaufgeschürzt, die Marktmahne mit bewunderswerther Geschicklichkeit und Sicherheit auf dem Kopfe wiegend, schritt sie behende ihrem Ziele zu. Ihr .,Marktschatz” bestand in Butter, Eiern, Milch, Hülsenfrüchten u. dgl.
Für die “Losung” *) erstand sie die nöthigsten, kleinen Bedürfnisse des Haushaltes, welche die eigene Wirthschaft nicht lieferte; der Rest des erlösten Geldes wanderte in die sorgsam verwahrte Geldbüchse der häuslichen Sparkasse.
Selten besorgte der Bauer diese Gänge zur Stadt, und dann nur, wenn das Wetter anhaltend schlecht oder ein größerer Einkauf für die Wirthschaft zu besorgen war.
In jedem Falle legte er seiner Bäuerin gewissenhaft Rechnung und lieferte ihr den Rest der erzielten Losung ab.
Dieser spärliche Verkehr mit der Stadt läßt auch erkennen, wie nüchtern und sparsam der Bauer der damaligen Zeit war und wie er seine Kinder schon dazu zu erziehen bestrebt war, ländliche Einfachheit und Nüchternheit hochzuschätzen und z~ üben. Für den eigenen Lebensunterhalt wurde auf solchen Gängen in die Stadt kein Geld ausgegeben. Ein Stück selbstgebackenen Brotes und selbstgemachter Wurst, das unterwegs verzehrt wurde, genügte für die Zeit der Abwesenheit und ein Trunk kühlen Wassers hielt Kopf und Magen gesund, die Glieder zum Wandern frisch und leicht. Das nicht verzehrte Brot wurde nach Hause zurückgebracht und als “Hasenbrot” den lieben Kindern als Leckerbissen gereicht, denn Hasenbrot sollte nach allgemeiner Ueberzeugung eine besondere Kraft zur Stärkung der Kinder besitzen. Hasenbrot wollten die Kleinen alle mitgebracht haben, das schmeckte ihnen süßer als das “gebackene” Häschen oder das “Zuckerbretzelchen” vom Bäcker in der Stadt.