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Es ist bereits schon erwähnt worden, wie schlicht und einfach sich damals das leben im Dorfe vollzog. Auch das gesellige leben, so beliebt es war, vollzog sich in den einfachsten Formen. An Sonntag nachmittagen im Frühjahr und Sommer besuchte der Bauer diejenigen seiner Felder, in welche er die Woche über nicht kam.
Es waren das vornehmlich die mit Wintersaat bestandenen Grundstücke, die nach dem System der “Dreifelderwirthschaft” für die gesammten Besitzer den größeren Theil der Gemarkung ausmachten. Bei solchem Umgange ging der Bauer immer allein, selten begleitete ihn dabei seine Ehehälfte. Alle “Gewanne” wurden dann abgegangen und dabei im Stillen erwogen, wie hoch der Ertrag dieses Jahres zu erhoffen und was bei mangelhaftem Stand der Saaten zum Ausgleich zu thun sei. Die sich auf solchen Gängen Begegnenden tauschten dann eingehend ihre Meinungen aus und verhandelten diese für den landmann so wichtigen Fragen auf’s Gründlichste.
Die Dorf jugend hielt zu derselben Zeit ihre gemeinsamen Spaziergänge um die Zäune, d.h. rings um das Dorf her, ab, wobei es stets gesittet und züchtig zuging, denn man hielt große Stücke auf einen guten Namen.
Dicht vor dem Walde nach Süden hin lag damals einsam ein wohlgeordnetes Bauerngehöfte, “das Schwarzhaupt” genannt; es ist längst verschwunden. Von hier aus bietet sich dem Besucher ein herrlicher Blick hinab in das weite Mainthal, vom Taunus hinüber bis zum Odenwald und wieder hinauf bis zu den dichtbewaldeten Höhen des Kinzigthales im Spessart und Vogelsberg. Im Südwesten grüßt die alte Mainstadt Frankfurt mit dem hochragenden Thurme ihres Domes herauf; im Osten zeigt sich zwischen den Bergen des Kinzigthales das Wahrzeichen der alten Barbarossastadt Gelnhausen, die herrliche Kirche mit ihren damals noch schiefen Thürmen. Der Feldberg im Taunus, der Melibokus im Odenwald, der Hahnenkamm und das Hufeisen im Spessart, die Herchenhainer Höhe im Vogelsberg, der Burgthurm von Großsteinheim, die Kirchthürme von Seligenstadt, mehr denn 60 Dörfer und Städtchen und mitten zwischen allem Hanau mit seinen hinter dem Buchwald emporstrebenden Thürmen.
Dieser herrliche, einzigartige Punkt in unserer Gegend wurde damals zur Sommerszeit viel besucht, namentlich zur Zeit der reifenden Kirschen, deren es hier eine Menge gab. Die Jugend aus den Dörfern der Umgegend von nah und fern versammelte sich hier an Sonntagnachmittagen mit Vorliebe zu Spiel und Tanz.
Anders gestaltete sich das gesellige leben der Dorfbewohner im Winter. Nur auf den Verkehr unter sich angewiesen bildeten sie so, so zu sagen, eine einzige Familie. Bei Tage war allerdings keine Zeit, trotz Schnee und Eis auf Feld und Flur, den winterlichen Faulpelz zu pflegen. Da gab’s vielerlei zu thun im Keller und Boden, in Stall und Scheune, denn der fürsorgliche Bauer gedachte schon des kommenden Frühjahres und bereitete vor in Haus und Wirthschaft, was ihm nothwendig erschien. Sobald aber gegen Abend das liebe Vieh besorgt und mit einbrechender Nacht das Abendessen eingenommen war, ging man “spille”, um die langen Abendstunden in größerer und angeregter Gemeinschaft zu verleben. Die Jugend sammelte sich in den “Spinnstuben”. Die Mädchen kamen zuerst, strickten oder spannen und erzählten sich dabei allerlei, was auch auf dem Lande ein Mädchenherz bewegt. Später erst erschienen auch “ihre” Burschen. Sobald diese da waren, begann der Gesang, der dann durch den Abend hin mit den Erzählungen eines “Kundigen” oder den Witzen eines “Spassigen” abwechselte. Die Männer und Frauen saßen ebenfalls in verschiedenen Häusern in kleineren und größeren Gruppen zusammen bei dem düsteren, aber trauten Scheine des primitivsten Oellichtes, das inmitten der Stube an einer hölzernen Stange von (der Decke herabhing. In engen Kreise schaarten sich die Frauen um das Licht und spannen ihre Rocken ab, unermüdlich das schnurrende Spinnrad mit dem Fuße in Bewegung haltend. Kein Fädchen brach damals der geschickten Spinnerin ab, in’s Unendliche schier zog es sich aus ihrer Hand auf die mit jeder Minute anschwellende Spule.
Auf den an den Wänden ringsum laufenden Bänken saßen die Märmer. Von ihnen wurde die Unterhaltung des Abends geführt. Die Frauen lauschten aufmerksam ihren Wechselreden. Haus und Hof wurde bis in’s Kleinste besprochen, Aecker und Wiesen auf ihre Ertragsfähigkeit geprüft, von jedem Thier im Stalle die Vorzüge gerühmt, Pläne für den kommenden Sommer entworfen und auch des Dorfes spärliche Neuigkeiten erörtert. Alle betheiligten sich lebhaft an dem “Diskursch”*).
Wenn aber der Alte, “das Herrche”, im runden, hölzernen Lehnstuhl am Ofen anhob zu erzählen aus vergangenen Zeiten, dann schwiegen die Männer, und die Frauen horchten hoch auf. Seine Jugend lag weit zurück in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts; seine besten Mannesjahre hatten des Vaterlands Erniedrigung durchlebt und seine Erhebung geschaut. Das war eine andere Zeit, die sich vor den lauschenden Männern und Frauen aufthatl Und wie anschaulich, wie klar und überzeugend konnte er aus der Welt vergangener Tage erzählen, ob er die strenge Zucht und die arbeitsreiche Zeit seiner Jugend oder die schweren Zeiten und furchtbaren Nöthe der selbstdurchlebten Kriegsjahre schilderte! Alles stand noch so lebendig vor seinem Geiste, wie wenn es erst jüngst von ihm durchlebt wäre.
Er erzählte von dem siegreichen Eindringen der Franzosen in die deutschen Gauen, ihren unendlichen Zügen die Leipziger Straße entlang, dann von “dem Retirad”, unter dessen Drangsalen die ganze Gegend so schwer gelitten, von dem kurzen Aufenthalte des flüchtigen Napoleon im Schlosse zu Selbold, wo ihm ein Geist erschienen sei, nach dem er mit dem Degen geschlagen, aber nur die kostbare Tapete an der Wand zerschnitten habe, von der Angst des geschlagenen Franzosenkaisers vor den nachdrängenden Heeren der Verbündeten, wie er mit seinen Heeresresten Hanau habe gerne umgehen wollen und zu dem Zwecke mit dem Bürgermeister von Diebach eine Unterredung gehabt, der ihm aber abgerathen habe, weil über Fallbach und Nidder keine Brücken führten. Mit bewegten Worten schilderte er die Schrecken der Schlacht bei Hanau und die Greuel der Verwüstung in der Stadt und in den Dörfern wie die Bewohner der letzteren nach Eckhardtshausen, Stockheim, Lindheim u. s. w. eiligst geflüchtet seien, um nur Leib und Leben in Sicherheit zu bringen, Hab und Gut den fremden Völkern preisgebend. Das alles und noch weit mehr erzählte der Alte in seiner eignen Art, oft in ergreifenden Worten die Herzen der umsitzenden Frauen und Männer packend, welche des Krieges Schrecken und Noth aus eigener Erfahrung nicht mehr kannten. Wie lebhaft funkelten des Alten Augen und wie bewegt zugleich klang sein Wort, wenn er die Bedrängniß der fliehenden Franzosen, denen die Kosacken auf der Ferse saßen, schilderte und theilnehmend ihren Ruf um Erbarmung nachahmte mit: mundje pardon! mundje pardon!*) Auch der Unruhen von 1830 gedachte er ab und zu in seinen Erzählungen, wie das Volk die Lecentämter gestürmt, die Zehntbücher und Gerichtsakten verbrannt, wie in Wilhelmsbad eine große Volksversammlung stattgefunden habe, bei der Studenten aus Heidelberg, Gießen und Marburg aufreizende Reden an das Volk gehalten und zur Abschüttelung des Fürstenjoches aufgefordert hätten u. s. w.
So war der Alte der Mittelpunkt der ganzen Gesellschaft, und niemand wurde müde, ihm zuzuhören! man ehrte ihn wie einen Patriarchen! Hatte er geendet, dann ging man zur leiblichen Erquickung über. Ein Korb voll der schönsten und besten Aepfel wurde auf den Tisch gesetzt, und alle ließen sich das treffliche Obst nach Herzenslust munden. Ein kurzes leichtes Gespräch noch des Einen mit dem Anderen schloß den “Spilleabend” ab, - schlag 10 Uhr eilten Gatte und Gattin, er das Spinnrad tragend, durch die kalte Winternacht der eignen Wohnung zu. Dann noch einen prüfenden Blick in den Stall, ob alles in Ordnung, und - die Ruhe der Nacht umfing den Bauer und sein Haus!
*) Diskurs = Unterhaltung.